EIMSBÜTTEL, EPPENDORF & GRINDEL

 

Erwachsen werden
von Moritz Neumeier

 

Ich glaube, es gibt bei den meisten Menschen mit Mitte zwanzig einen Punkt, an dem man den Wunsch verspürt, von heute auf morgen erwachsen zu werden. Oder zumindest erwachsener als in den letzten fünfundzwanzig Jahren. Wahrscheinlich kommt dieser Punkt bei den meisten morgens um halb vier, über den Rand einer mit Urinstein verunreinigten Kloschüssel gebeugt, in die man die Errungenschaften der letzten Partynacht entleert. Auf einmal ist da dieser Blitz, gleich einer Verheißung, einem Weckruf, der brüllt: „Das kann doch so nicht weitergehen!“ Und weil man Karrierepläne und Beziehungen nicht wirklich planen kann, kratzen viele Hamburger dann ihr Geld zusammen, bitten Mama um finanzielle Unterstützung oder fassen den Plan, mehrere Banken auszurauben, um sich endlich eine Wohnung in Eimsbüttel, Eppendorf oder am Grindel leisten zu können. Hier kommt man sich automatisch erwachsen vor. Egal wie alt man ist. Wenn man durch die Häuserschluchten der Schönheit wandelt, fühlt man sich angekommen in dem wunderschönen Teil des Ernstes des Lebens. Als würde man die Möglichkeit erkennen, all die Vorteile einer Spießigkeit genießen zu können, ohne sich spießig fühlen zu müssen. Ich erinnere mich noch an die Nächte, in denen ich deprimiert von irgendeiner Hausparty, bei der ich mal wieder nicht so gesellschaftlich erfolgreich war, wie ich es zuvor gehofft hatte, nach Hause torkelte, bei jedem zweiten Haus denkend: „Wenn ich hier wohnen würde, wäre ich glücklich.“ Die bunten, stuckverzierten Fassaden sind genau die, welche man sich für sein gesamtes Dasein wünscht. Majestätisch und erhaben über all die Alltagsprobleme, die die Leute in den städtischen Randbezirken quälen. Selbst der Winter scheint hier erträglich. Und irgendwie bekommt man immer Kinder da. Hinter jeder Ecke wartet ein kleiner eingezäunter Spielplatz, die Straßen sind verkehrsberuhigt, und jeder einzelne dieser kleinen Menschen scheint besser gekleidet als man selbst. Hier wird man erwachsen. Das sinnlose Wochenendgelage wird zu drei Weißweinschorlen an der schön eingerichteten Eckkneipe. Die stümperhafte Suche nach einem Sinn im Leben manifestiert sich in 65 m2 saniertem Altbau, der meine Probleme wie durch Zauberhand zu lösen vermag. An all diese Gedanken erinnere ich mich. Torkelnd und schlurfend auf dem Weg Richtung Veddel, auf eine schönere Zukunft blickend. Und irgendwie hat mich dieser Wunsch bis heute nicht losgelassen.

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