CENTRUM & SANKT GEORG & NEUSTADT
Alles hat seinen Platz
von Moritz Neumeier
„Man sollte Städte niemals nach ihrer Innenstadt bewerten.“ Das ist wohl eine der wichtigsten Einsichten, die ich in meinen neun Jahren Livetour-Erfahrung gewonnen habe. Das und: „Jede Stadt hat ihr schönen Ecken.“ In Hamburg ist das anders. Würde man sich diese Massen an pubertierenden Jugendlichen wegdenken, diese Flut aus giggelnden, handytippenden Hormonbomben, die sich aus dem Hauptbahnhof heraus in die Innenstadt ergießt — dann wäre diese tatsächlich richtig hübsch. Im Ernst: Wie viele Cafés sind schon vergleichbar luxuriös untergebracht wie unsere? Mitten zwischen den immer gleichen Modeketten, die mittlerweile keine einzige Innenstadt Deutschlands mehr verschonen, findest du hier fantastische Kirchen, ein unglaubliches Rathaus und einen mehrstöckigen Skateladen, dessen Architektur ganze Villenviertel verblassen lässt. Hamburg hat eben Stil. Und wem die beinahe herrschaftlichen Häuserschluchten der Mönckebergstraße auch ohne Fußgänger nicht zusagen, muss nur ein Stückchen weitergehen, den Hauptbahnhof durchqueren und kann sich in St. Georg verlieren. Früher gab es hier den Schwulenstrich, irgendwann strichen die Schwulen jede zweite Wohnung, und heute reißen sich die Menschen darum, hier auch nur einen Kaffee trinken zu dürfen. Wie stilvoll St. Georg ist? Es gibt hier noch so etwas wie Hutläden, Digger. Einen kompletten Laden. Für Hüte! Ich weiß noch, dass ich als Kind hier zum ersten Mal mit meiner Mutter bei einem Bäcker saß, ein Brötchen aß und beobachtete, wie sich zwei Männer ganz selbstverständlich küssten. Das Kennenlernen des Konzeptes „Menschen verlieben sich — ist doch egal, in wen“ verdanke ich auch diesem Stadtteil und seiner ungespielten Offenheit allem Neuen gegenüber. Und so macht es in Hamburgs Innenstadt die Mischung: hippe Ateliers, neben der krassen Armut am Steindamm, neben dem Kulturangebot der Museenlandschaft, neben den Nomadenstämmen der Pickelgeplagten. Alles hat seinen Platz. Und meiner ist definitiv Hamburg.