OTTENSEN & BAHRENFELD & ALTONA ALTSTADT
Voll die Motten
von H. Burdenski
„Bring er mich zur Mottenburg!“ rief ein bekannter Lokalpolitiker seiner Zeit und ließ sich auf die Rückbank fallen. „Nummer 14“, raunte er noch, sank promt in tiefen Schlaf, und die Luft im Wagen war sofort alkoholgeschwängert. Egal, ich freute mich über die Anrede in der dritten Person. Das kommt nun wirklich nicht oft vor. Angekommen in der Mottenburger Straße war der gute Mann partout nicht wachzukriegen. Nun gut, die
Familie wird helfen, hoffte ich. Sein prominenter Nachname fand sich jedoch nicht auf dem Klingelschild, leider auch nicht in der Mottenburger Twiete nebenan. Tja, dachte ich, vielleicht hatte der Mann einfach nur den alten Namen des Stadtviertels genannt. Als in Ottensen noch die Industrie florierte, lag die Lebenserwartung bei 35 Jahren. Jeder zweite Glasbläser und -schleifer hatte „die Motten“. Die Tuberkolose verlieh dem Quartier den Namen „Mottenburg“. Es war die Zeit vor den Smartphones, die Zentrale konnte mir bei meiner gewagten These auch nicht weiterhelfen, also angelte ich mir kurzerhand das Portemonnaie aus seiner Manteltasche. Siehe da, Gasstraße 14. Der alte Poser lebt gar nicht in Ottensen, das war ja nun schon Bahrenfeld. Aber immerhin, die Hausnummer stimmte. Zusammen mit seinem Sohn schleiften wir ihn in die dritte Etage, wo die beschämte Ehefrau uns ins Schalfzimmer dirigierte. „Bitte kein Wort zur Presse, auch nicht zur Mopo“, flehte sie und drückte mir einen Hunni in die Hand. „Klar doch, großes Taxifahrerehrenwort!“ entgegnete ich grinsend, machte direkt Feierabend und fuhr auf einen Absacker ins Aurel, einer meiner Stammläden. Dort wurde das Cornern erfunden, schon in den Neunzigern sammelten sich die caipi-trinkenden Massen auf dem Alma-Wartenberg-Platz und nervten mit ihren lang ausgestreckten Haxen die HVV-Busfahrer bis die Polizei kam. Wenn die wieder weg war, schnappte ich mir meist ein paar Gäste und beendete die Schicht mit einer lukrativen Sammeltour. Jahre später winkte mich übrigens mein Politikerfreund wieder an den Straßenrand. Als ich ihn erkannte, fuhr ich jedoch lieber schnell weiter. Ich weiss, das war unhöflich. Aber zumindest seine Partei wähle ich bis heute.