SCHANZE & KAROVIERTEL
Der Lauf der Dinge
von H. Burdenski
Wenn auf das mir zugerotzte „Zur Flora!” kein herzliches „Bitte” mehr folgte, so hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, die Musical-Pärchen vor der Roten Flora abzusetzen. Die irritierten Blicke der kleinlauten Touristen waren mir immer ein großes Fest, welches ich seit dem 7. Juli 2017 aber erstmal lieber nicht mehr feiere. Denn an diesem Tag haben 20 Staatenlenker, ‘ne Meute untätige Büttel und eine Horde schwarzer Halunken dem Viertel die Unschuld geraubt. Die Massen feiern sich zwar immer noch selbst auf dem Galáostrich, die Becksstraße hat unverändert vierzehn identisch aussehende Häuserfassaden und unglaublich sehnige Menschen erklimmen immer wieder aufs Neue den Kilimanschanzo. Aber irgendwie ist die Leichtigkeit dahin, sie hat sich woandershin verkrümelt und eine Lücke hinterlassen. Aber vielleicht kommt sie wieder. Die Zeit heilt ja bekanntlich alle Wunden, und Schwund gab’s hier schon immer. Wer weiß denn heute noch, dass es anstelle des Bok das Pickenpack gab, im Dschungel die Getränke phänomenal günstig waren und man in der Susannen-straße Pakete aufgeben und abholen konnte? Oder dass es auch eine Zeit vor der Piazza gab und einen Laden mit dem eigentümlichen Namen „1000 Töpfe”? Kaum jemand, und es interessiert auch nicht wirklich. Denn die Zeit egalisiert alles. Ronald Schill hatte einst mit all seiner Macht das Viertel terrorisiert und muss heute seinen Piephahn bei RTL präsentieren. Raue Entbeiner wurden längst von glatten Werbern abgelöst. Und wer stört sich eigentlich noch daran, dass im Wasserturm Menschen übernachten? Es ist egal, denn das Leben geht seinen Gang, so hat es la Vida schon immer gehalten.
„Always straight forward”, wie schon Herr Hagenbeck zu sagen pflegte, der sein Stammhaus am Neuen Pferdemarkt hatte, damals noch ohne Ausblick auf Wasserwerfer. Und genauso straight wird die Leichtigkeit zurückgebracht werden von den Menschen, die ins Quartier strömen auf der Suche nach Abwechslung und nach Kreativität, bunten Klamotten, nach dem etwas Anderen, nach einer anständigen Mahlzeit, ein paar guten Drinks oder um die Individualität der anderen zu bestaunen. Die von der Marktstraße bis zur Sternbrücke bummeln und wieder zurück und beseelt nach Hause zurückkehren. Vielen bin ich dabei behilflich, wenn sie mich per App ordern und schmunzeln, sobald sie den Sticker mit dem Peace-Zeichen auf der Mittelkonsole lesen: „10 Prozent Tip, sonst Bambule!”